Der letzte Sparren

Der Radduscher Altbauer August Beesk hat nach mündlicher Überlieferung folgende Geschichte aufgeschrieben, die sich wahrhaftig zugetragen haben soll:

Um 1850 wurden die Radduscher Kaupen besiedelt. Die Kaupen sind mitten im Spreewald gelegen. (In unmittelbarer Nähe befinden sich auch die ersten Streusiedlungen von Burg-Kolonie.)

Genau zu dieser Zeit wollte der junge Büdner Hoppenz aus Raddusch heiraten. Aber seine zukünftige Frau sagte zu ihm: »ln deine alte Kaluppe werde ich nicht ziehen. Wenn du kein neues Haus baust, bleibe ich bei meinen Eltern“. Das alte Wohnhaus des Büdners Hoppenz war nämlich ein Holzfachwerkhaus mit Schilfdach. Nun blieb dem jungen Hoppenz nichts anderes übrig, als ein neues Haus zu bauen. Er war entschlossen, das alte abzureißen und daneben ein neues zu errichten. Von seinen Plänen erzählte er im Wirtshaus bei einer Zecherei. Da kam eines Tages ein Kauper aus Burg ins Radduscher Wirtshaus und erfuhr davon. Er ging zum jungen Hoppenz und sagte: »lch habe gehört, dass du dein altes Haus abreißen willst. Weißt du, ich möchte es dir abkaufen.« Hoppenz. war natürlich sehr erfreut und sofort einverstanden. Sie vereinbarten nun den Preis. Der Kauper meinte: »lch werde das Haus Stück für Stück abtragen und mit dem Kahn auf die Freiheiten schaffen. Wenn ich den letzten Sparren hole, bekommst du das Geld". Hoppenz schlug ein. Der Kauper hatte nämlich vorher ein Stück Land auf den Radduscher Freiheiten gekauft. Diese Wiesenflächen liegen etwa fünf Kilometer vom Dorf entfernt. Auf einer Erhöhung wollte der Kauper das Wohnhaus des Hoppenz wieder aufbauen. Tag für Tag fuhr nun der Kauper nach Raddusch, brachte Stück für Stück des Hauses mit dem Kahn zu seinem Grundstück und baute hier das Haus wieder auf. Die Arbeit ging schnell voran. Der junge Hoppenz sah das gern, freute er sich doch auf das Geld, mit dem er sein neues Haus bauen wollte. Als der Kauper fast fertig war und nur noch der letzte Sparren in Raddusch lag, ging er in den Busch und schlug dort eine Erle. Aus ihr fertigte er den letzten fehlenden Sparren. Wenige Tage später stand das alte Wohnhaus auf den Radduscher Freiheiten in alter Pracht. Hoppenz aber wartete vergebens auf sein Geld, denn der letzte Sparren wurde nie abgeholt.

(aus: M. Kliche, Das Spreewalddorf Raddusch, Domowina-Verlag 1994)


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